Home Service Für Vermieter Wohnen in Paris Blog FAQ Über mich Kontakt Deutsche Version English version Version française
Home Service Für Vermieter Wohnen in Paris Blog FAQ Über mich Kontakt
 

Interview mit Gendarm Laurent Hennequin: Paris, sicher oder nicht?

Veröffentlicht: August 2021

Interview mit Gendarm Laurent Hennequin: Paris, sicher oder nicht?

Immer mal wieder richten Kunden Fragen an mich, wie sich denn das Leben in Paris anfühlt. Und damit ist nicht das Gefühl nach dem morgendlichen Biss ins Croissant gemeint. Es geht mitunter um die Bedrohungslage in Paris, insbesondere nach den terroristischen Anschlägen im Jahr 2015. Aber auch, welche  Arrondissements am ehesten zu meiden sind und was man so beachten sollte.

Grundsätzlich ist Paris eine Großstadt wie viele andere, in der gesunder Menschenverstand ratsam ist. Aber eben auch keine Paranoia nötig ist. Vor diesem Hintergrund habe ich mich mit Laurent Hennequin unterhalten, Gendarm und seit einigen Jahren mein Trainer bei  Ladies System Defense, einer Vereinigung, die Selbstverteidigungskurse für Frauen im Großraum Paris anbietet.

 Hallo Laurent, erst mal vielen Dank, dass du mir heute Rede und Antwort stehst! Stell dich doch bitte kurz vor.

Salut Claudia, sehr gerne! Also, mein Name ist Laurent, ich bin 48 Jahre alt und seit 26 Jahren Gendarm. Darüber hinaus bin ich als Sicherheitsreferent und Auditor für Situationsprävention tätig. Gleichzeitig Lehrer bei "Ladies System Defense", wo ich mit anderen Kollegen Frauen in Selbstverteidigung unterrichte.

 Wir haben uns beide auch über bei Ladies System Defense kennengelernt, wo ihr Frauen jedes Alters und ohne sportlichen Hintergrund ermöglicht, sich in riskanten Situationen verteidigen zu können. Wie kam es zu diesem Engagement?

In der Tat waren viele von uns bereits Trainer für Selbstverteidigung, aber sowohl für Männer als auch für Frauen. Um 2010 herum haben wir dabei festgestellt, dass mehr und mehr Frauen sich für das Thema interessieren. Jedoch waren die Angebote nicht immer optimal, denn nicht jede Frau möchte in gemischten Kursen trainieren, außerdem ist die Ausrichtung typischer Selbstverteidigungskurse oft sehr martialisch und technisch. Auch die Fokussierung auf den Gürtel ist für viele eher uninteressant.

Daher entschieden wir uns, ein Angebot zu schaffen, nur für Frauen, und das ganz unabhängig von ihrer körperlichen Verfassung, unabhängig von ihrer Stärke. Es ging um einen Einstieg und die Wiederholung grundsätzlicher Verteidigungstipps.

Meine Theorie ist, dass sich um 2010 diese erhöhte Nachfrage zeigte, weil es damals verstärkt zu Angriffen auf Menschen kam, z.B. weil Smartphones überall "greifbar" waren, und auch Goldketten wegen des hohen Goldpreises - vom Hals gerissen eine leichte Beute. In der Tat ist es schwieriger eine Bank oder einen Bankautomaten auszurauben, denn das Geld wird inzwischen mit Tinte präpariert, so dass das Stehlen unmöglich ist. Dahingehend hat sich die Kriminalität verstärkt auf leichtere Ziele, Menschen, verlagert, und wenn man sich die Situation ansieht, wurden und werden vor allem Frauen zu Opfern, weil sie oft schwächer sind.

Gendarm Laurent Hennequin

Laurent Hennequin

Unsere Kurse richten sich an die Bedürfnisse der modernen Frau. Wir leben in einer gewalttätigen Gesellschaft, und es ist natürlich und instinktiv, sich anzupassen und zu lernen, wie man sich verhalten und verteidigen kann. Wenn wir über sexuelle Aggression sprechen, ist es wichtig zu verstehen und zu analysieren, wie die Aggressoren vorgehen. Wir versuchen gemeinsam in den Kursen, eine kohärente Antwort zu finden, wobei wir euch nicht zeigen, wie man sich mit einem Schuh vor einem Messer verteidigt  Will jemand dein Mobiltelefon, dann gib es ihm, dein Leben ist wertvoller! Viele verschiedene Themen sind wichtig, Prävention, wie man sich körperlich verteidigt und vor allem danach, wie man vorgeht, wenn man Anzeige erstatten will, dass man psychologische Hilfe in Anspruch nehmen kann, wie man Erste Hilfe leistet.

So ist diese Idee entstanden. Und es hat sofort funktioniert, weil die Nachfrage hoch war und ist.

 Wie fällt das Feedback von den Frauen aus, konnten eure Kurse in konkreten Gefährdungssituationen helfen?

Das Feedback ist im Allgemeinen sehr gut, das merken wir auch in den Kursen und natürlich im Internet und den sozialen Netzwerken.

 Hast du im Alltag selbst schon kritische Situationen erlebt?

Ich habe schwierige Situationen erlebt, aber ich versuche stets, wachsam zu sein, das bringt schon mein Beruf mit sich. Wenn mir meine Intuition sagt, dass es z.B. schlecht riecht, dass ich diesen U-Bahn-Waggon besser vermeiden und auf einen anderen warten sollte, dass ich in einer Bar mich erst mal umschaue beim Reinkommen … ja, ich bin sehr wachsam. Wenn ich Geld abhebe, lege ich den Finger auf den Abbruchknopf, und beobachte im Glas, ob jemand hinter mir steht. Einer Gruppe von Menschen auf der Straße vor mir, die herumhängen und mir kein Vertrauen einflößen, denen gehe ich aus dem Weg. Auch im Kino, schaue ich sofort, wo der Ausgang ist, und setze mich so, dass ich sehen kann, ob jemand mit einer Waffe reinkommt.

Das sind ganz natürliche Verhaltensmuster, ich denke nicht mal mehr darüber nach. Ich begrenze das Unbekannte, und natürlich laufe ich durch mein Auftreten auch generell weniger Gefahr, belästigt zu werden. Ich passe mich jedoch an und würde in einer Welt, die eines Tages mit Glücksbärchis bevölkert ist, völlig entspannt durchs Leben gehen - aber so läuft es nicht.

 Wie du weißt, betreue ich ausländische Kunden, die sich im Raum Paris niederlassen möchten und in vielerlei Hinsicht Support wünschen,  z.B. bei der Wohnungssuche. Es kam bereits vor, dass ich von jenen und auch von Freunden in Deutschland gefragt wurde, wie ich denn die momentane Gefährdungssituation in Paris sehe. Glaubst du, dass das Leben in Paris in den letzten zehn bis zwanzig Jahren gefährlicher geworden ist?

Ja, ich glaube, die Unsicherheit nimmt zu, auch die Kriminalität entwickelt sich weiter. Es ist inzwischen komplizierter, ein Geschäft zu überfallen, während es viel einfacher ist, eine Person zu entführen. Hinzu kommt, dass die Leute nach den drastischen Lockdowns in den letzten Monaten angespannt sind. Finanzielle Sorgen haben zugenommen, auch der Verlust der Freiheit tat da sein Übriges. Jugendliche sterben häufiger, nur weil sie jemanden flüchtig ansehen, Messerstechereien nehmen zu – all das kann man überall in den Nachrichten verfolgen.

 Wie schätzt du die Gefahr neuer Anschläge ein?

Die Frage, die man sich bei den Anschlägen stellen muss, ist objektiv gesehen die, wann sie sich wiederholen werden und nicht ob. Denn objektiv gesehen, wird es weitere Anschläge geben.

Im Gegensatz zu 2015 - zum Beispiel Charlie Hebdo und dem  13. November - sehen wir inzwischen viele Anschläge, die nicht so strukturiert sind, mit einem großen Kern bewaffneter Leute, sondern verstärkt einfache Messerangriffe. Die Gründe sind vielfältig. Zum einen gab es eine Begrenzung der Rückkehrer aus Syrien, gut ausgebildete Kämpfer. Auch wenn der Islamische Staat einen schweren Schlag erlitten hat, sind Terrorzellen immer noch in der Lage, einen groß angelegten Angriff zu organisieren. Die Geheimdienste sind aber aufmerksamer bzgl. der Rückkehrer und der lokalen Strukturen, so dass dies inzwischen schwerer zu koordinieren wäre. Das ist ein relevanter Grund, warum wir inzwischen mehr "kostengünstige" Angriffe auf Menschen mit Messern sehen: die Leute sind nicht ausgebildet, haben wenige Mittel und reagieren teilweise sehr impulsiv.

Andererseits besteht die Gefahr, dass viele Extremisten, die einst gefangengenommen worden sind, bald das Gefängnis verlassen können. Da sprechen wir wirklich über Menschen, die den Dschihad erlebt haben und in Syrien ausgebildet wurden, die in der Lage sind, mit Waffen und Sprengstoff umzugehen! Wenn die entlassen werden, besteht die Gefahr, dass wir erneut große Anschläge wiedererleben können, durchgeführt von Leuten, die strukturierter und fähiger sind, großen Schaden anzurichten, die sich nicht bloß auf Messerangriffe einlassen...

Ich denke jedoch auch, dass wir in Bezug auf die Aufklärung und Bedrohungsanalyse inzwischen deutlich fähiger sind. Die Ordnungskräfte, die Nachrichtendienste, die Sicherheitskräfte - aber nun ja, der Kampf ist nicht vorbei.

Manchmal wurde ich von Freunden nach 2015 gefragt, ob ich denn keine Angst hätte, in Paris zu leben. Nein, habe ich nicht. Das sagte ich auch in einem Interview nach dem Bataclan zu einer deutschen Zeitung. Ich glaube wirklich, dass ich persönlich in der Metro angriffen werden oder eine extreme Situation erleben müsste, um wirklich Angst zu haben. Ich bin aufmerksam, denke mit und versuche, vorausschauend zu handeln - aber ich lasse keine Angst in meinen Alltag einfließen, so wie Millionen andere Menschen auch.

 Gab es Vorfälle, die uns allen medial bekannt sind, bei denen du vor Ort warst?

2009 und 2010 war ich in Afghanistan, wo ich sechs Monate lang stationiert war. 2015 war ich nach dem  Anschlag auf Charlie Hebdo die ganze Nacht damit beschäftigt, die Kouachi-Brüder in Villers-Cotterêts aufzuspüren. Und am nächsten Tag waren wir in Dammartin-en-Goële.

Danach erlebte ich mal einen Hurrikan auf den Französischen Antillen in Saint-Martin. Es war schlimm, wir waren in Todesangst und hatten wirklich Hunger.

Laurent Hennequin in Aktion

Laurent Hennequin in Aktion

 Gibt es Tipps, die du uns an die Hand geben kannst, wie man sich in einer gefährlichen Situation verhalten sollte?

Wachsam sein. Will jemand dein Smartphone stehlen und richtet eine Waffe auf dich, gibst du es ihm und diskutierst nicht. Wissen, wo man ist, und wenn man sich an einem öffentlichen Ort befindet, sich so positionieren, dass man nicht überrascht wird, wenn z.B. jemand von vorne kommt. Ausgänge beobachten, Notausgänge kennen. Man sollte immer eine Möglichkeit haben zu entkommen.

Erlebst du einen Banküberfall, vermeide es, den Bankräubern in die Augen zu schauen - die könnten nämlich denken "Hey, der/die könnte mich identifizieren!". Vermeide auch generell schnelle Bewegungen, denn die Angreifer sind unter Stress, hypersensibel, und wenn man eine plötzliche Bewegung macht, kann es das Ende sein. Also langsam nach dem Portemonnaie greifen, es langsam herausnehmen. Nicht mit der üblichen flotten Handbewegung.

Wenn es sich um einen Terroranschlag handelt, muss man schnell reagieren. Es ist wirklich wichtig, wachsam zu sein, um wenn möglich in der Lage zu sein, entkommen zu können. Und natürlich ist es viel schwieriger, auf jemanden zu schießen, der im Zickzack läuft oder seine Körperoberfläche verkleinert. Kannst du dich verstecken, verstecke dich richtig. Es ist schon mal nicht schlecht, nicht gesehen zu werden - aber ein Vorhang schützt dich nicht vor Gewehrsalven. Ein Auto ist da schon besser, wobei der Motorblock im Gegensatz zu den Türen auch Schüsse aus einer Kalaschnikow aufhalten kann.

Leider gibt es keinen Zaubertrick. Je nach Situation sollte man in der Lage sein zu reagieren. Gesunder Menschenverstand ist absolut wichtig.

 Das ist eine Sache, die mich viele Leute regelmäßig fragen, wenn sie eine Wohnung suchen: Sie wollen oft wissen, welches Arrondissement zu empfehlen ist und welches sie meiden sollten. Was ist deine Meinung?

Die Ecke rund um Stalingrad ist nicht gerade die Beste, Château Rouge, auch die Ecke um die Gare du Nord herum ist speziell. Es gibt Bereiche mit Drogensüchtigen, die man meiden sollte. Ich suche mir stets ein Viertel, das zu mir passt, wo die Menschen so sind wie ich. Ich will mich weitgehend sicher fühlen.

 Letzte Frage: An wen kann man sich wenden, wenn man etwas Auffälliges beobachtet?

Die Polizei unter der Nummer 17, wenn man etwas Ungewöhnliches sieht. Es ist immer besser anzurufen, auch wenn es sich eine Situation im Nachhinein als ungefährlich entpuppt. Man hat seine Aufgabe als Bürger:in erfüllt, wenn man etwas sieht, das nicht der Norm entspricht und Unbehagen bereitet, auffällt. Man entdeckt etwas, schätzt dies als mögliche Gefahr ein, alarmiert. Ob RATP-Agent oder Polizist, hingehen, Informationen weitergeben und gut.

Ladies System Defense

Fitness gehört zur Selbstverteidigung!

 Laurent, ich danke dir für dieses spannende Gespräch!

Möchten Sie mehr über den Alltag in Paris oder "Ladies System Defense" wissen,  sprechen Sie mich gerne an!